Um sich grob einen Überblick über den Taoismus zu machen, reicht es eigentlich völlig sich den entsprechenden Wikipedia-Artikel rein zu tun. Hier bekommt auf jeden Fall einen guten – wenn auch nüchternen – Überblick über die Geschichte, die Grundlage, die Religion, die Philosophie, etc.
Manches davon ist richtig, gut, anderes dagegen wiederum nur angeschnitten. Das liegt nicht an der Kompliziertheit der Lehre, sondern eher an der Freiheit der Interpretation und – das dürfen wir nicht außen vor lassen – sicherlich auch an der Tatsache, dass der Taoismus eine original chinesische Sache ist, die sich völlig unabhängig von westlichen Kultureinflüssen entwickelt hat.
Wir haben schlicht (manchmal vielleicht) Schwierigkeiten es zu verstehen.
Das ist gar nicht schlimm, denn eigentlich reicht ein gewisses Maß an Interesse und eine Portion Mut gewohnte Denkweise mal über Bord zu werfen.
Und genau so möchte ich das Thema gerne hier behandeln. Außerhalb der Sinologie, westlicher Bewertung und erhobenen Zeigefinger möchte ich hier den Taoismus aus meiner Brille heraus… nicht erklären, das ginge zu weit… aber vielleicht völlig selbstbezogen interpretieren und, wenn möglich, ein gewisses Interesse an dieser wunderbar einfachen und erfüllenden Philosophie zu wecken.
Taoismus, Religion oder Philosophie?
Aus der Hüfte würde ich wahrscheinlich mit „Wo ist denn bitte der Unterschied?“ antworten. Jede Religion ist auch gleichzeitig Philosophie. Ich kann mich nicht als Christ definieren, ohne der christlichen Philosophie zu folgen. Ich kann kein Paganist sein und gleichzeitig der Philosophie des Judentums anhängen.
Taoismus ist erstmal eine Religion und sieht man sich die (mögliche) Entstehung des Taoismus‘ genauer an, dann ist es auch so. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass er seinen Ursprung in den ersten schamanistischen Ideen der Chinesen hatte und zwar noch bevor die Chinesen überhaupt sesshaft wurden. Demnach wäre der Taoismus eine der ältesten Religionen, die bis heute noch aktiv ist.
Taoismus ist aber auch – und das ist in meinen Augen eine der fantastischen Seiten – eine Philosophie, und zwar eine von den Philosophien, die keine Religion konterkariert. Ich kann also bspw. Christ, Muslim, Hindu oder Atheist UND zugleich Taoist sein.
Ich denke mir, genau diese Flexibilität ist der Grund warum der Taoismus bis heute existiert. Der Taoismus als Religion hat sich im Laufe der Jahrtausende angepasst und verändert. Er hat sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und sich den Einflüssen aus anderen Strömungen, insbesondere dem Buddhismus, nicht versperrt. Das, was wir heute als taoistische Gottesdienste, Rituale oder Predigten sehen können, zeigen recht deutlich, wes Mutter Kinder diese sind.
Aber letztlich ist das ja auch alles nur ein Mantel, der über der dem Glauben und der Philosophie schwebt – der eigentliche Kern des Taoismus hat sich all die Jahrtausende über als wahr erwiesen und ich bin davon überzeugt, dass es auch in der Zukunft wahr bleiben wird.
Was bedeutet nun Taoismus für mich?
Für mich ist es Lebenseinstellung, -Philosophie und zum Teil auch Religion. Ich liebe es die alten Schriften zu lesen und immer wieder Neues in ihnen zu entdecken OHNE (und das ist das Geilste überhaupt) Altes zu negieren. Lebenseinstellung ist es, weil ich zumindest versuche mein Leben danach auszurichten und im Sinne des Taoismus aufzubauen. Philosophie, weil es meinen Überzeugungen entspricht und ich auch keinen Hehl von diesen mache. Religion, weil ich daran glaube und das Konzept insgesamt meine persönlichen Vorstellungen vollständig erfüllt.
Taoismus benötigt keine Götter, keine Rituale oder stillschweigende Meditationszirkel. Auch wenn es natürlich nie falsch ist, wenn man so etwas denn machen möchte. Taoismus benötigt lediglich eine Art „Leben mit der Natur“. Das klingt einfach und ist vor Allem auch leicht zu verstehen, aber… WAS heißt das denn nun?
Kurz gefasst bedeutet dies nach meiner Auffassung: zu erkennen wie der natürlich Lauf der Dinge ist und sein Handeln danach auszurichten.
Wu Wei nennt dies der Daoist und hat so gar nichts mit dem „Nichttun“ oder auch „Nichtstun“ zu tun, wie es gerne übersetzt wird. Ich versuche für mich zu unterscheiden ob ich Dinge beeinflussen kann oder nicht. Kann ich Dinge beeinflussen, frage ich mich, ob es auch SINN macht, WENN ich sie beeinflusse. Kann ich dies mit JA beantworten werde ich aktiv – andernfalls eben nicht.
Ein weiterer Aspekt, dem ich folge ist die innere Stimme, oder auch das innere Gefühl. Wenn sich die Dinge blöd anfühlen, irgendwie nicht stimmig sind und/oder einfach nicht passen, halte ich mich davon fern, versuche zumindest in die Richtung nicht weiter zu denken, geschweige denn zu machen. Fühlen sich die Dinge dagegen gut an, passend und irgendwie harmonisch ist alles fein und ich mache weiter.
Harmonie, innere Gelassenheit, ein Stück weit positives Denken und sich selbst nicht wichtig nehmen sind hierbei die Maßgaben. Ebenso die Fragestellungen: Kann ich es tun und macht es Sinn es zu tun.
Kann ich ein Atom spalten und eine Bombe bauen? JA!
Macht es Sinn das zu tun: NEIN!
Alleine mit dieser Fragesystematik hätten sich viele negative Dinge von vornherein erledigt. Aber sei’s drum – es ist wie es ist.
Das ganze Theorem des Taoismus hat einen Nachteil: Wir leben in einer vollständig von der Natur entkoppelten Gesellschaft und haben den Bezug weitestgehend verloren. Zudem können wir nur in den seltensten Fällen den Aussteiger spielen und uns auf einen Berg oder in eine Höhle zurückziehen, wie die daoistischen Meister im Wudang-Gebirge. Ich für meinen Teil fänd‘ das schon irgendwie cool, bin aber zu sehr in der Gesellschaft verhaftet als dass ich das jetzt einfach mal umsetzten könnte.
Die Frage ist also, wie schaffe ich es, neben den bereits genannten Punkten, eine daoistische Lebenseinstellung innerhalb der Gesellschaft zu kultivieren?
Ich persönlich habe irgendwann angefangen mir Inseln zu bauen, auf die ich mich vom Alltag zurückziehen kann. Dazu gehören ganz profane Dinge, wie Literatur und Musik, Familie und Sport, Meditation. Jedoch auch diese „profanen Dinge“ unterliegen einem gewissen Ranking. Ich lese zum Beispiel keine sinnfreien Romane oder sonstiges Wegwerfgeschreibsel, sondern konkrete daoistische Literatur alter und neuer Meister. Ich höre keine Dosen-Musik, sondern Musik, die mich inspiriert und berührt. Ich verbringe mit meiner Familie „wertvolle Zeit“ und nicht vor dem Fernseher o.ä. UND ich treibe Sport für mich (!) und nicht um anderen gegenüber zu zeigen, was ich für ein toller Typ bin.
Kurz gefasst ist es die Qualität der Dinge die eine solche Insel ist. Natürlich verbringe ich auch gerne mal Zeit vor der Glotze, oder zocke an meinem Rechner – das Maß ist es einfach, auf das es (wie immer) ankommt.
Eine weitere Insel die ich mir gebastelt habe, ist die Kampfkunst. Sie ist für mich DIE Insel, auf der ich mich dem daoistischen Lebensgefühl am nächsten fühle.
Vor ein paar Jahren habe ich in den Buch „die Kunst des Krieges“ folgenden Absatz gelesen:
Wissen heißt, der Störung vor der Störung gewahr zu sein, der Gefahr vor der Gefahr gewahr zu sein, der Zerstörung vor der Zerstörung gewahr zu sein, dem Unglück vor dem Unglück gewahr zu sein.
Kraftvolles Handeln heißt, den Körper zu trainieren, ohne sich vom Körper belasten zu lassen; den Geist zu üben, ohne sich vom Geist benützen zu lassen; in der Welt zu arbeiten, ohne sich von der Welt berühren zu lassen; und Aufgaben auszuführen, ohne sich von den Aufgaben behindern zu lassen.
Durch das tiefe Wissen um das Prinzip kannst Du eine Störung in Ordnung verwandeln; Du kannst Gefahr in Sicherheit verwandeln; Du kannst Zerstörung in Überleben und Unglück in Glück verwandeln.
Durch kraftvolles Handeln auf dem Weg kannst du den Körper in das Reich der Langlebigkeit führen; Du kannst den Geist in die Sphäre des Geheimen führen; Du kannst die Welt in den großen Frieden und Aufgaben zu großer Erfüllung führen.
Viel Inhalt in der kurzen Passage, wobei es mir hier nun um den Passus: „in der Welt zu arbeiten, ohne sich von der Welt berühren zu lassen“ geht.
Das liest sich erstmal leicht und ich glaube nicht, dass irgendjemand Probleme hat, diese Zeile zu verstehen. Mit der Umsetzung tun wir uns allerdings schwer. Nicht, weil es so besonders schwierig ist, sonder weil wir (der Mensch) uns mit unserem ewigen Anspruch „etwas tun zu müssen“ permanent selbst daran hindern.
Schon Laotse hat in Kapitel 70 des Tao Te King geschrieben (Übersetzung von Günther Debon):
Meine Worte sind sehr leicht zu verstehen und sehr leicht auszuführen. Doch im ganzen Reich vermag niemand sie zu verstehen, vermag niemand sie auszuführen. Mein Wort hat einen Ahn, mein Werk hat einen Herrn. Wohl! Nur weil man sie nicht kennt, versteht man auch mich nicht.
Die Seltenen sind es, die mich verstehen; und die mir folgen sind angesehn.
Deshalb der heilige Mensch: trägt am Leibe das härene Gewand, aber im Herzen das Kleinod.
Das klingt vielleicht etwas hölzern und altertümlich, im Kern ist es aber heute ebenso aktuell wie offenbar damals schon.
Die Seltenen sind es, die mich verstehen… ja gut, das kann schon sein. Ich behaupte nicht, dass ich den alten Meister total verstehen kann… aber ich bemühe mich aber wenigstens. 🙂
In diesem Sinne!